[PLEASE NOTE: This will likely be my last bilingual post for a bit. It is another attempt to think through some questions that came up frequently during my recent trip to Germany and Switzerland. Specifically, it is about a linguistic practice that only exists in German. There is an English version of the essay appended below. I have maintained the slightly misleading term “gendering” for the German “Gendern”. I will explain below what this is about, but if you’re interested in a broader overview of this debate and its weird culture war ramification, NPR talked about it in 2021.]
Im Juni wurde ich im Radio interviewt – es war ein sehr schönes Gespräch, aber an einem Punkt wurde ich befragt, was ich zu den „zahlreichen” Fällen sagen würde, in denen deutsche Studierende wegen Nicht-Genderns mit Punktabzug bestraft worden waren. Ich sagte sinngemäß, dass ich nicht den Eindruck hätte, dass das sehr häufig passieren würde, und dass ich denke, dass so etwas von Studienordnungen auch in Deutschland ziemlich klar geregelt werde. Das entsprach damals meinem Kenntnisstand. Ich wusste schlicht nichts Genaueres. Ich weiß, dass sich in den USA und Kanada hartnäckig die Legende hält, man könne für die Verwendung falscher Pronomina (die anglophone Version der Panik ums Gendern) bestraft werden – Jordan Peterson machte sich ja zuerst mit dieser Behauptung einen Namen. In Wahrheit ist genau das Gegenteil der Fall – die Verwendung von nicht-angeborenen Pronomina steht in mehreren Bundesstaaten mittlerweile unter Strafe. Aber wie viel oder wie wenig Realität hinter der Legende im DACH-Raum war, wusste ich nicht genau.
Daher haben meine Mitarbeiterin Theresa Rosinger-Zifko und ich uns die Aufgabe gestellt, einmal genau nachzuschauen. Unsere Fragen waren:
gibt es solche Fälle?
wenn ja, wie wurde das Verbot kommuniziert, wie sah die Strafe aus?
Wir nahmen an, dass es sich bei der Zahl der Fälle ungefähr so verhalten dürfte wie mit Cancel-Fällen: es gibt sie, aber nicht besonders viele. So schrieb Thomas Thiel 2022 in der FAZ:
„Nach einer vorläufigen Recherche der F.A.Z., die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sind oder waren Stundenten an mindestens fünfzehn deutschsprachigen Hochschulen zum Gendern verpflichtet, so in Leipzig, Dresden, Tübingen, München, Aachen, Saarbrücken, Bremen und mehrfach in Berlin, außerdem an mehreren österreichischen und schweizerischen Hochschulen.”
Im Gespräch mit der BILD-Zeitung warnte der CDU Politiker Christoph Ploß: „An vielen Schulen und Universitäten gibt es schon länger einen faktischen Genderzwang.” Im Deutschlandfunk berichtet eine Jurastudentin, „dass in Hausarbeiten explizit auf die Richtlinien verwiesen wurde, was unterschwellig das Gefühl vermittelt hätte, dass eine Umsetzung davon für eine gute Note Pflicht gewesen sei.” Bei diesen Problembeschreibungen bemerkt man schnell, wie schleichend entgrenzt wird: geht es um ein „unterschwelliges Gefühl”? Geht es um einen „faktischen Genderzwang” (was ja zu bedeuten scheint, dass es diese de iure nicht gibt, aber eben de facto)? Oder handelt es sich schlicht um Studierende, die „zum Gendern verpflichtet” sind, wie sie zum korrekten Zitieren verpflichtet sind?
Wir waren von den Resultaten einigermaßen überrascht – denn in der Tat gibt es sehr wenige belegte Fälle von erzwungenem Gendern. Wo die FAZ die Liste “Leipzig, Dresden, Tübingen” usw. nimmt, konnten wir nicht feststellen. Was es sehr viel, und schon sehr lange gibt, sind Artikel über vermeintlichen Genderzwang. Was auch bei dieser Panik bei eingehender Presseschau auffällt: wie alt sie eigentlich ist. Entsprechende Sorgen gibt es seit fast 10 Jahren – anfangs noch vollständig ohne Beispiele. Die Welt stößt seit 2014 in dasselbe Horn:
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